Baden-Baden

Wir gratulieren Otto Jägersberg zum 70. Geburtstag

VS+Schillers+Reisefede

Gäbe es Otto Jägersberg in Baden-Baden nicht, die Stadt müßte ihn glatt erfinden. Wie er seit Jahrzehnten mit sanfter Ironie und bissigem Spott seine Bücher schreibt, seine Filme dreht, einem wichtigen Sohn der Stadt zu neuem Leben verholfen hat und schon immer „nebenbei“, aber seit einiger Zeit auch durch die Bildende Kunst flaniert, ist einzigartig. Der Künstler, Dichter, Filmemacher, Romancier wird nun am 19. Mai 70 Jahre alt. Im Alten Dampfbad ist er nicht nur zu Hause, nein, dort war auch bis 15. Januar 2012 eine Kunstausstellung mit erstaunlich vielseitigen Werken von Jägersberg zu sehen: Aquarelle, Fotos, Skizzen und Zeichnungen. Parallel dazu ist ein „Bilderbuch“, dem er natürlich amüsante Texte beigefügt hat mit ebenso amüsanten Titeln: „Der Spazierstock ist ein Kartoffelstampfer auf Landgang“.
     Otto Jägersberg ist ein angenehm selbstironischer und umfassend gebildeter Zeitgenosse. So lag es auch nahe, dass er sich dem Schriftsteller und Psychoanalytiker Georg Groddeck verschrieben hat, jenem berühmten Sohn Baden-Badens im Schatten von Sigmund Freud. Jägersberg ist Herausgeber seiner gesammelten Schriften und hat 2011 eine Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Georg-Groddeck-Gesellschaft mit initiiert – auch dort schmunzelt man bei der Lektüre so manchen Beitrags. „Groddeck war ein widersprüchlicher und komplizierter Mensch mit einer phantastischen Weitsicht, Auffassungskraft und Formulierungslust“, schwärmt Jägersberg im Gespräch. Viel über Psychosomatik hat Groddeck geforscht, dass Körper und Seele zusammen gehörten, sei bei Groddeck eine „Lebenshaltung.“
     Natürlich darf das eigene literarische Werk von Otto Jägersberg nicht vergessen werden. Die großen Romane des 1942 in Hiltrup/ Westfalen geborenen Autors, erschienen in den siebziger und achtziger Jahren, sein Debut „Weihrauch und Pumpernickel“ machte bereits1964 Furore, viele Romane und Erzählungen folgten. Der Fernsehfilm „Seniorenschweiz“ (1976) nahm das überalterte Baden-Baden aufs Korn und den demografischen Wandel vorweg, überhaupt ist die Kurstadt Hintergrund vieler Texte und Filme. Sein umfangreichstes filmisches Projekt war die ZDF-Serie „Die Pawlaks. Eine Geschichte aus dem Ruhrgebiet“, zu Beginn des Jahrtausends folgten im SWR „Deutsche Lebensläufe“, darunter ein Porträt über „Winifred Wagner“ und eines über „Die Wagners.“ Als Drehbuchautor machte er zuletzt mit dem Kinofilm „Unter Bauern“ Schlagzeilen, in den Hauptrollen Armin Rohde und Veronica Ferres.
    Als enger Mitarbeiter des legendären Kleinverlegers V.O. Stomps („Eremitenpresse“) hat Jägersberg auch heute noch eine Vorliebe für bibliophile Bände in kleiner Auflage, und so kennt so mancher leider nicht seine vorzüglichen Gedichte oder Kalendergeschichten mit Aquarellen von Alfons Hüppi, publiziert 2005 unter dem schrägen Titel „Wie Kafka beinahe nach Baden-Baden in Groddecks Sanatorium gekommen wäre vielleicht.“
    Otto Jägersberg frönt dem Rennradfahren und ist ein leidenschaftlicher Flaneur: „Das Schreiben ist nicht der poetische Akt“, sagt er, „sondern das Spazierengehen und das Leben.“ Und zum Leben gehören für ihn unabdingbar erlesene Speisen und Weine. Man trifft den Riesling- und Weißburgunderfreund gelegentlich auf Vernissagen oder Lesungen. Dann sagt er schöne, selbstironische Sätze wie: „Mit einem Glas Wein in der Hand lassen sich wunderliche Gespräche über Kunst führen, auch wenn keiner etwas davon versteht, ich am Allerwenigsten.“ Matthias Kehle

Jürgen Lodemann

Juergen Lodemann

Erfinder der Bestenliste, Moderator, Ruhrromane, Ehrenvorsitzender des VS Baden-Württemberg

1936 in Essen geboren, Studium in Freiburg (Philosophie, Literatur, naturwissensch. Geographie), Staatsexamen und Promotion („Bürgerlichkeit“), 30 Jahre Filmemacher und Moderator beim Fernsehen in Baden-Baden, heute SWR.
    Erfand 1975 gegen die Bestsellerlisten die „Bestenliste“, die noch heute wirksame Qualitätsliste der deutschsprachigen Literaturkritik, mit potentiell 100 Juroren aus Österreich, Schweiz und der Bundesrepublik (genehmigt wurden nur 35).
   Debut als 39-Jähriger mit Anita Drögemöller und die Ruhe an der Ruhr, dem ersten Roman mit reinem Ruhrdeutsch. Stern: „Schreibtischwüstling“. Max von der Grün: „Die deutsche Literatur ist arm an solchen Büchern, die so leicht zu lesen sind und doch einen ernsten sozialen Hintergrund vermitteln.“
   1980 Ahnsberch, Volksstück über die Räuber an der Ruhr. Ein Jahr lang in Peymanns „Bochumer Ensemble“. Der Traum vom autonomen Ruhrgebiet.
   1985 Essen Viehofer Platz, Roman. Das Ruhrrevier als Modellfall von Medienmafia und Prekariat. Volker Hage (damals FAZ): „…Und der Erotik wird in der deutschen Literatur endlich wieder zu ihrem Recht verholfen: Lodemann versteht es …“
   2000 Lortzing, der 1848er, der Texter, der Theatermusiker, der Autor von Text und Musik zur ersten und einzigen Arbeiter-Oper, zur Freiheits-Oper „Regina“.
  2002 Siegfried und Krimhild. Die Nibelungenchronik, gemäß Heiner Müllers „die Nation beerdigen“. Nach ältesten Quellen die Nibelungen als europäischer Stoff. Jung-Siegfried authentisch an den nachweislich ältesten Schmiedestätten. Altgermanist Otfrid Ehrismann: „ . . . hat dem Nibelungenmythos eine neue und zukunftsfähige Würde gegeben.“
  2008 Paradies, irisch, eine frühe Stadt-Geschichte, so intim wie politisch, es geht um Grundrechte. Im 800-jährigen Krieg gegen England ist Galway eine Friedens-Insel, ein Wirtschaftswunder. Die atlantische Hafenstadt als Biotop der Lebenskünste der Dynastie Lynch. Und dann der Absturz. Laut Erich Fromm „Tragedy of justice“. Deutschlandradio: „meisterlich“.

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