Politik

Falsch, Frau Merkel!

demokratie

Die Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, die vom türkischen Präsidenten geforderten Ermittlungen gegen den Satiriker Böhmermann zuzulassen, hat mich fürchterlich aufgeregt. Grund genug, die Angelegenheit mal nüchtern zu betrachten. 

Was innenpolitisch grundverkehrt ist, ist außenpolitisch womöglich richtig.

Denn Merkel zeigt dem türkischen Diktator Erdogan, dass bei uns nicht die Politik über Rechtsstreitigkeiten entscheidet, sondern ein unabhängiges Gericht. Allerdings glaube ich nicht, dass Erdogan das auch so verseht. Andere Regierungschefs aber sehr wohl. Gleichzeitig soll der Paragraf 103 StGB (der Schah-Paragraf) gestrichen werden, weil er unzeitgemäß ist. Ganz unabhängig von dieser Entscheidung droht Böhmermann sowieso ein Ermittlungsverfahren, weil Erdogan nach Paragraf 185 StGB auch noch mal Strafanzeige gestellt hat.
Insofern hat Merkels Entscheidung, gegen die sich der Koalitionspartner SPD und die Oppositionsparteien Grüne und Linke aussprechen, auf die Situation, in der Böhmermann sich befindet, keine großen Auswirkungen. Allerdings ist die Höchststrafe bei Paragraf 103 fünf Jahre, die Höchststrafe beim Paragrafen 185 aber nur zwei. Böhmermann dürfte momentan allerdings andere Sorgen haben: Vermutlich wird er mit dem Tod bedroht und mit Hassmails bombardiert. Und das ist genauso wenig akzeptabel. Übrigens besteht jetzt bereits Gefahr, dass sich die veröffentlichte Meinung in den Medien gegen Böhmermann kehrt. Auch das halte ich für nicht akzeptabel.

Ja, ich denke schon, dass er vor unseren Gerichten keine Angst haben muss. Die Staatsanwaltschaft Mainz wird, wie sie muss, sowohl zugunsten als auch gegen den Beschuldigten ermitteln und womöglich gar keine Anklage erheben. Oder sie erhebt Anklage, aber das zuständige Gericht nimmt sie nicht zur Verhandlung an. Falls die Klage wegen der großen öffentlichen Bedeutung doch zur Verhandlung zugelassen wird, dann wird sich ein Gericht mit der Frage beschäftigen müssen, ob  ausgesprochene Beleidigungen unter dem Konjunktiv, sie seien welche, wenn man sie gegen eine Person richten würde, immer noch Beleidigungen sind oder eben nicht. Mit Sicherheit wird dieses oder ein anderes Gericht in weiterer Instanz die Freiheit der Kunst als ein hohes Gut ansehen. Böhmermann wird wahrscheinlich nicht verurteilt werden. Auch das ist ein wichtiges Signal an die Diktatoren im Ausland.

Über die Frage, ob die Kunstform und ihre Ausführung gut oder schlecht ist, wird nicht entschieden. Auch schlechte Kunst genießt bei uns den Schutz der Kunst-, Meinungs- und Pressfreiheit. Und das ist gut so. Böhmermann hat mit seinem Auftritt auf die Forderung Erdogans reagiert, die Bundesregierung möge ein Video verbieten, das ihn verspottet und mit Wahrheiten konfrontiert. Mit seinem Auftritt wollte Böhmermann klar machen, dass Erdogan keine Ahnung hat, was Satire ist und was im Unterschied dazu eine Beleidigung. Für das, was Beleidigung ist, hat Böhmermann dann in seinem Gedicht Beispiele genannt. Für uns ist das nachvollziehbar. Wir schmunzeln aber auch über den Trick und lachen hämisch über das, was nicht gesagt werden darf, aber doch gesagt wird. Kennen wir von früher: Da hat man gelegentlich schon mal zu Protestaktionen aufgerufen mit dem Satz: „Es wäre rechtswidrig, wenn ich euch auffordern würde, morgen den Landtag zu stürmen, das darf ich nicht.“ Der Satz ist wahr, also nicht justiziabel. Wenn Akteure ihn „falsch“ verstehen, ist das nicht die Verantwortung des Sprechers. Wir wissen auch nicht mit Sicherheit, ob er es nicht eben doch genauso gemeint hat, wie er es gesagt hat. Dass es nicht so sei, ist eine Unterstellung. Eine „Gewissenserforschung“ darf hier nicht stattfinden. Es zählen die Fakten, hier die komplexe Einheit des Kunstwerks.

Innenpolitisch ist Merkels Signal an uns Künstler/innen, Schriftsteller/innen, Satiriker/innen, Liedermacher/innen und Theaterleute fatal. Grottenfalsch. Müssen wir eben doch Angst haben vor Strafverfolgung, wenn wir Tabus brechen oder in Text und Bild, womöglich etwas übermütig, Mächtige und Mächte anpinkeln? Das müssen die aushalten, dafür haben sie die Macht und meistens auch noch viel Geld und eine Villa. Sie haben sich in die Öffentlichkeit gedrängt, sie müssen öffentliche Projektionsfläche sein, an ihnen entlädt sich Hass und Zorn genauso wie hemmungslose Bewunderung, sie müssen mehr aushalten als mein Nachbar, der sich schon beleidigt fühlt, wenn ich ihn nicht grüße. Aber deshalb kann er mich nicht verklagen.

Unsere Demokratie hält Spott, Satire, Geschrei und sogar lügenhafte Behauptungen aus. Egal von wem gegen wen. Sie hält sogar – wie wir derzeit an den rechten Umtrieben sehen – sehr viel Meinungsfreiheit aus. Unsere Gerichte schützen ja auch die Aufmärsche Rechter vor einem Demonstrationsverbot. So frei sind wir. So stark. Wenn nicht, wären wir kein Rechtsstaat mehr. Dass Staaten sozial stabil und wirtschaftlich stark nur sind, wenn sie eine demokratische Verfassung haben, welche Freiheit, auch Angstfreiheit der Kunst, eigensinnige Lebensentwürfe und die Unabhängigkeit der Gerichte garantiert und damit über dem Präsidenten steht, hat Erdogan noch nicht kapiert oder will er nicht kapieren, genauso wenig wie Putin oder andere Potentaten, die Medien unters Staatsdiktat stellen und Journalist/innen ins Gefängnis bringen oder erschießen lassen.

Aber wir Deutsche dürfen uns sicher fühlen, dass uns der Staatsterror dieser Diktatoren im mehr oder minder demokratischen Mäntelchen nicht erreicht, wenn wir die Wahrheit sagen und uns bei der Kritik ihrer Machenschaften womöglich sogar im Ton vergreifen. Die Wahrheit und der Spott, das sind die einzigen Waffen der Bürgerinnen und Bürger gegen die Macht, die gelegentlich auch mal weh tun. Satire darf alles. Oder eben doch nicht?

Denn jetzt haben wir den Eindruck, als reiche der Arm Erdogans oder anderer Potentaten mit leicht kränkbarer kleiner Seele und großer Herrschsucht über unsere Grenzen tief ins Land hinein und könne sich mit strafender Faust einen rausgreifen und zerquetschen. Und noch schlimmer: Wir haben den Eindruck, als knicke Merkel vor dem türkischen Präsidenten ein, weil sie ihn politisch braucht, um die Kriegsflüchtlinge aus Europa und damit auch Deutschland fernzuhalten. Was im übrigen auf Dauer nicht funktionieren wird, und was ich persönlich auch für unmenschlich halte.

Deshalb ist Merkels Entscheidung innenpolitisch verheerend. Vermutlich leider zu klug, zu unemotional, vermutlich außenpolitisch und staatsmännisch richtig, aber eben doch auch so traurig und mies, dass wir Künstler/innen uns aufregen, uns ereifern und  protestieren müssen. Auch laut! Aber fair und respektvoll. Wer, wenn nicht wir!

Christine Lehmann

P.S. (17.4.16):Vielleicht war Merkels Entscheidung doch auch nicht einmal außenpolitische so klug. Zumindest sieht die Washington Post sie als Ermunterung an andere Potentaten an. Diese Einschätzung muss allerdings auch nicht stimmen. Immerhin will die Bundesregierung den unseligen Paragrafen ja streichen.

P.P.S. Am 22.4.2016 räumt Merkel ein, einen Fehler gemacht zu haben.

Autoren helfen mit ihrer Stimme für Toleranz

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„Autoren helfen“ ist eine Initiative von deutschsprachigen Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die ihre kreativen Kräfte bündeln und sich für humanitäre und soziale Anliegen einsetzen wollen. 

Erdacht wurde „Autoren helfen“ von fünf Autorinnen und Autoren im September 2015.
Autoren helfen“ will eine Plattform sein, auf der sich jede Autorin und jeder Autor auf die eigene Weise einbringen kann. Sei es mit Texten, sei es mit Aktionen und Projekten jeglicher Art für den guten Zweck. Unter dem Motto „Autoren unterstützen Flüchtlinge“ stellen die Initiatoren die erste Kampagne dieser Plattform sehr bewusst unter das Motto „gegen Rassismus und für die Integration von Asylbewerbern“. 

Jeder und jede kann mitmachen. Wir brauchen starke Stimmen für Besonnenheit, Mitgefühl, Mut und Freundschaft.

Ich habe keine Worte …

Paris

… und muss doch welche machen. Die Gewalt in Paris entsetzt mich. So viele Tote! Ich denke an alle, die Angehörige verloren haben, die in Krankenhäusern liegen und eine lange Rekonvaleszenz vor sich haben …

Mit Betroffenheit höre ich Journalist/innen und Kolleg/innen Politiker oder sich gegenseitig fragen, ob man sich jetzt vor Flüchtlingen schützen müsse, ob wir verzagen, ob wir nicht mehr sagen dürfen, „wir schaffen das?“, weil wir es gar nicht mehr schaffen wollen.

Das eine aber hat nichts miteinander zu tun. Ein terroristischer Angriff bewaffneter Extremisten ist etwas völlig anderes, als die Ankunft von Menschen, die vor Terror und Krieg fliehen.

Meine Nicht hat es heute auf den Punkt bebracht: »Seht ihr jetzt, wovor sie sich fürchten? Aufstehen! Unsere Werte nicht zerstören lassen!“

Das ist der einzige Zusammenhang, den man herstellen kann. Wer jetzt anfängt, die Genfer Konvention, unser Asylrecht und unsere tiefe demokratische Überzeugung, dass jeder Mensch menschenwürdig behandelt werden muss, infrage zu stellen, spielt dem Extremismus in die Hände, dem islamischen genauso wie dem rechten. 
Denkt sorgfältig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Gesellschaft braucht uns Schriftstellerinnen und Schriftsteller, damit wir sie daran erinnern, dass wir Menschen sind und menschlich fühlen. Wir lassen uns vor keinen weltanschaulichen Karren spannen, wir schauen genau hin, wir sehen den Menschen. Halten wir die Augen offen, ich bitte euch. 
Christine Lehmann

Wir lassen uns nicht aufhetzen

VS%2BSchillers%2BReisefede
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in Aufrufen, Presseerklärungen, offenen Briefen und Unterschriften bringen wir unsere Empörung zum Ausdruck. Dem frevlerischen Plan von Mördern und Terroristen, Hass zu schüren, und die Gesellschaft zu spalten, müssen wir kraftvoll und geschlossen entgegentreten. Ebenso dem Versuch, diese grausamen Taten nun als Bestätigung von Ressentiments etwa gegenüber Flüchtlingen oder gegenüber dem Islam zu missbrauchen.
Der Deutsche Kulturrat hat in seiner Presseerklärung: „Arznei gegen die Pegida: Aufklärung!“ auf sein Buch Islam ∙ Kultur ∙ Politik“ hingewiesen, das eine wichtige Informationsquelle ist. Der Deutsche Kulturrat stellt es deshalb kostenlos im Internet zum Lesen bereit. (siehe die an Euch weitergeleitete Pressemitteilung)
Herzlich grüßt Euch
Regine Möbius
Bundesbeauftragte für Kunst und Kultur der ver.di
Stellv. VS-Bundesvorsitzende
regine.moebius@t-online.de

VS Baden-Württemberg