Wolfgang Rappsilber, Lyriker und langjähriger Herausgeber der Literaturzeitschrift Exmpla (gegründet 1974 in Tübingen), ist am 25. Januar 2015 im Alter von 84 Jahren in einem Münchner Heim gestorben. Ein Nachruf von Widmar Puhl.
Wir erfuhren es mit Verspätung und per Todesanzeige von Ursula Jetter, der jetzigen Herausgeberin der Lizteraturzeitschrift EXEMPLA:
Wolfgang Rappsilber, Lyriker und langjähriger Herausgeber der Literaturzeitschrift EXEMPLA (gegründet 1974 in Tübingen), ist am 25. Januar 2015 im Alter von 84 Jahren in einer Reha-Klinik am Chiemsee gestorben. Er hatte schon seit eingen Jahren in München gelebt und den meisten seiner alten Freunde und Bekannten auch keine Adresse hinterlassen, deshalb verlor ich den Kontakt zu ihm. Dabei war der Grund seines Umzugs eine neue Liebe, und das spricht eigentlch gegen Depressionen. Nur starb diese Lebensgefährtin vor einem Jahr, und dieser Schlag zog ihn nur umso tiefer wieder ins schwarze Loch dieser Krankheit. Hinzu kamen ein Aneurysma und Probleme mit Herz, Lunge und Darm.
Wolfgang Rappsilber starb an den Folgen eines Sturzes am 19. Dezember, bei dem er sich das Hüftgelenk brach. Er war bis zuletzt auf seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit bedacht und lebte allein in der Münchner Wohnung, doch seine letzten Tage waren von großer Einsamkeit und nachlassender geistiger Präsenz überschattet. Er war vielen von uns älteren Autoren in Baden-Württemberg ein lieber, treuer, ständig rauchender, engagierter, wenn auch nicht immer einfacher Weggefährte. Zuletzt hatte er fast keine Kontakte mehr außer einer Putzhilfe und einer Betreuerin. Er litt unter seiner Armut und dem Fehlen adäquater Gesprächsspartner. Sogar das Geld fürs geliebte Kaffeehaus fehlte ihm zuletzt – und die Fähigkeit, Gedichte zu schreiben.
Fast alle Autoren aus Baden-Württemberg und etliche darüber hinaus brauchen bloß in ihren Bücherschrank zu schauen (ins Fach mit den Belegexemplaren eigener Publikationen), um seine Bedeutung zu ahnen: die Bedeutung eines Mannes, der 1930 in Frankfurt geboren, in Tübingen als „ewiger Student“ der Fächer Germanistik und Philosophie hängen geblieben und als Verleger wirtschaftlich gescheitert, aber als Dichter geachtet und als Exempla-Macher geradezu eine Institution. Die einzige dieser Art in Baden-Württemberg, im Land der Dichter und Denker, wo man die Dichter und Denker heute gern der Sozialhilfe überlässt, wenn sie nicht Mainstream sind. Als Poet, als Autor drei Lyrikbände und vieler verstreut publizierter Einzelgedichte, hätte er weitaus mehr Leser verdient und ist zu Unrecht vergessen.
Vor vielen Jahren (zum 25. Bestehen der Exempla, also 1999) habe ich ein Feature über ihn und seine Arbeit bei SWR2 Wissen veröffentlicht. So ähnlich wie eine Würdigung liest sich allerdings in der Jubiläumsausgabe der EXEMPLA Literaturzeitschrift aus dem Jahr 2014 (Seite 20) ein Auszug daraus über die Gründungs-Situation der Zeitschrift, die Wolfgangs Lebenswerk war. Die Zeitschrift entstand in einer unruhigen Zeit extremen Bedarfs für Poesie und Diskurs. Heute wird dieser Diskurs von vielen ablegehnt, aber politisch wie auch sonst bleibt es mehr als zweifelhaft, ob man so eine Zeitschrift durch Facebook oder elitäre geförderte Zirkel wie den „Irseer Pegasus“ jemals wird ersetzen können. Eines seiner Gedichte von 1999 möchte ich zitieren, weil es exeplarisch zeigt, wie luzide, aktuell, politisch und durchdacht seine Poesie war:
In den Maschinenzentren
Beschließen Stromstöße Bildungspläne
Kultur wird lieferbar
Dein Schlaf dir zugeteilt
Dein Koitus vorgeplant
Deine Leistung gemessen
Dein Wert bestimmt
Dein Tod vorausberechnet
Nach aufgestellten Kurvendiagrammen
Die Zukunft hat schon begonnen
Und morgen
Werden die Kistenbretter vernagelt sein
Über deinen Hoffnungen
– Was ich für eine offene Frage hate, so lange sich Kollegen an Wolfgang Rappsilber erinnern. Das Drama seiner letzten Jahre war wohl, dass er für eine neue Liebe seinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis im Raum Tübingen-Stuttgart aufgab. Hier hätte es ihm nicht an anregenden Gesprächen gefehlt – und wohl auch nicht an freundlichen Kollegen, die mal die Rechnung im Kaffeehaus übernehmen. Wolfgang war ein Intellektueller der aussterbenden Art – brillant und warmherzig, fernab des Mainstreams, aber konsequent und immer einer jener anregenden Gesprächspartner, die ihm zuletzt so sehr fehlten.
Wolfgang Rappsilber, Lyriker und langjähriger Herausgeber der Literaturzeitschrift EXEMPLA (gegründet 1974 in Tübingen), ist am 25. Januar 2015 im Alter von 84 Jahren in einer Reha-Klinik am Chiemsee gestorben. Er hatte schon seit eingen Jahren in München gelebt und den meisten seiner alten Freunde und Bekannten auch keine Adresse hinterlassen, deshalb verlor ich den Kontakt zu ihm. Dabei war der Grund seines Umzugs eine neue Liebe, und das spricht eigentlch gegen Depressionen. Nur starb diese Lebensgefährtin vor einem Jahr, und dieser Schlag zog ihn nur umso tiefer wieder ins schwarze Loch dieser Krankheit. Hinzu kamen ein Aneurysma und Probleme mit Herz, Lunge und Darm.
Wolfgang Rappsilber starb an den Folgen eines Sturzes am 19. Dezember, bei dem er sich das Hüftgelenk brach. Er war bis zuletzt auf seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit bedacht und lebte allein in der Münchner Wohnung, doch seine letzten Tage waren von großer Einsamkeit und nachlassender geistiger Präsenz überschattet. Er war vielen von uns älteren Autoren in Baden-Württemberg ein lieber, treuer, ständig rauchender, engagierter, wenn auch nicht immer einfacher Weggefährte. Zuletzt hatte er fast keine Kontakte mehr außer einer Putzhilfe und einer Betreuerin. Er litt unter seiner Armut und dem Fehlen adäquater Gesprächsspartner. Sogar das Geld fürs geliebte Kaffeehaus fehlte ihm zuletzt – und die Fähigkeit, Gedichte zu schreiben.
Fast alle Autoren aus Baden-Württemberg und etliche darüber hinaus brauchen bloß in ihren Bücherschrank zu schauen (ins Fach mit den Belegexemplaren eigener Publikationen), um seine Bedeutung zu ahnen: die Bedeutung eines Mannes, der 1930 in Frankfurt geboren, in Tübingen als „ewiger Student“ der Fächer Germanistik und Philosophie hängen geblieben und als Verleger wirtschaftlich gescheitert, aber als Dichter geachtet und als Exempla-Macher geradezu eine Institution. Die einzige dieser Art in Baden-Württemberg, im Land der Dichter und Denker, wo man die Dichter und Denker heute gern der Sozialhilfe überlässt, wenn sie nicht Mainstream sind. Als Poet, als Autor drei Lyrikbände und vieler verstreut publizierter Einzelgedichte, hätte er weitaus mehr Leser verdient und ist zu Unrecht vergessen.
Vor vielen Jahren (zum 25. Bestehen der Exempla, also 1999) habe ich ein Feature über ihn und seine Arbeit bei SWR2 Wissen veröffentlicht. So ähnlich wie eine Würdigung liest sich allerdings in der Jubiläumsausgabe der EXEMPLA Literaturzeitschrift aus dem Jahr 2014 (Seite 20) ein Auszug daraus über die Gründungs-Situation der Zeitschrift, die Wolfgangs Lebenswerk war. Die Zeitschrift entstand in einer unruhigen Zeit extremen Bedarfs für Poesie und Diskurs. Heute wird dieser Diskurs von vielen ablegehnt, aber politisch wie auch sonst bleibt es mehr als zweifelhaft, ob man so eine Zeitschrift durch Facebook oder elitäre geförderte Zirkel wie den „Irseer Pegasus“ jemals wird ersetzen können. Eines seiner Gedichte von 1999 möchte ich zitieren, weil es exeplarisch zeigt, wie luzide, aktuell, politisch und durchdacht seine Poesie war:
In den Maschinenzentren
Beschließen Stromstöße Bildungspläne
Kultur wird lieferbar
Dein Schlaf dir zugeteilt
Dein Koitus vorgeplant
Deine Leistung gemessen
Dein Wert bestimmt
Dein Tod vorausberechnet
Nach aufgestellten Kurvendiagrammen
Die Zukunft hat schon begonnen
Und morgen
Werden die Kistenbretter vernagelt sein
Über deinen Hoffnungen
– Was ich für eine offene Frage hate, so lange sich Kollegen an Wolfgang Rappsilber erinnern. Das Drama seiner letzten Jahre war wohl, dass er für eine neue Liebe seinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis im Raum Tübingen-Stuttgart aufgab. Hier hätte es ihm nicht an anregenden Gesprächen gefehlt – und wohl auch nicht an freundlichen Kollegen, die mal die Rechnung im Kaffeehaus übernehmen. Wolfgang war ein Intellektueller der aussterbenden Art – brillant und warmherzig, fernab des Mainstreams, aber konsequent und immer einer jener anregenden Gesprächspartner, die ihm zuletzt so sehr fehlten.