Gegenwart mitgestalten
Der neue VS-Vorstand (von links): Sven j. Olsson, Lena Falkenhagen, Pilar Baumeister, Leander Sukov. Es fehlt: Claudius Nießen. Foto: © Bert Bostelmann / bildfolio |
Der Schriftstellerkongress hat sich zum Jubiläum wieder stärker in die Öffentlichkeit bewegt. Dort muss der Club der Einzelkämpfer bleiben. Ein Rückblick auf Aschaffenburg. Von Marc Bensch
Wenn einer 50 Jahre wird, darf – und soll! – er sich schon fragen, wo er herkommt und wo er hinsteuert. Der viertägige Schriftstellerkongress zum VS-Jubiläum Mitte Februar unter dem Titel „Literaturunter Strom“ in Aschaffenburg nahm sich reichlich Raum zum stolzen Rückblick. Natürlich kam am Main wieder die Rede auf Heinrich Bölls „Ende der Bescheidenheit“, ausgesprochen auf der VS-Gründungsversammlung 1969 in Köln. Ebenso wie auf die „Einigkeit der Einzelgänger“, die Dieter Lattmann, der erste Vorsitzende des Schriftstellerverbands, einst proklamierte.
Den Geist der alten Tage heraufzubeschwören, das ist legitim, das kann möglicherweise ermüdete Gemüter wachrütteln. Aber natürlich müsste jedem bewusst sein, dass Welt und Zeiten sich geändert haben und mit ihnen die Strahlkraft des VS. Es bräuchte mehr Junge, die kraftvoll vorangehen, und es bräuchte mehr Prominente, denen die Gesellschaft zuhört. Es mangelt an beidem. Schuld daran sind individuelle und organisatorische Umstände: verschobene Bedürfnisse der Einzelkämpfer ebenso wie die als starr empfundenen Strukturen einer Gewerkschaft oder die mangelnde Sexyness dergleichen.
Wo steuern wir also hin? In Aschaffenburg debattierte man am offiziellen Eröffnungstag ausführlich über die Digitalisierung, jenes Thema, über das jeder etwas zu sagen hat, ohne es ganz zu begreifen. Man sprach also über aggressive Marktakteure, über Diskussionskulturen in sozialen Netzwerken und über den Verlust der Medienkompetenz. Man sprach, ohne viel Wegweisendes von sich zu geben.
Tags darauf, auf der Delegiertenversammlung, sprach man darüber, wie sich der Verband in Zukunft aufstellen möge. Die Delegierten wählten einen neuen couragiert wirkenden Bundesvorstand mit Lena Falkenhagen an der Spitze. Sie trafen zudem Beschlüsse, in denen sich die „Weisheit der Gruppe“ zeigte, wie es die scheidende Vorsitzende Eva Leipprand ausdrückte. Die Öffnung des Verbands gegenüber Selfpublisherinnen und Selfpublishern ist eine Reaktion auf die neue Welt und eine Chance, wieder schlagkräftiger zu werden. Ebenfalls eine Reaktion auf veränderte Zeiten ist – qua Titel – die „Aschaffenburger Antwort“ mit ihrem Bekenntnis „zu den Grundsätzen des demokratischen sozialen Rechtsstaates, zur Wahrung und Verwirklichung der Menschenrechte, der Menschenwürde und zu einem friedlichen Zusammenleben“. Dass künftig nur Mitglied im VS werden kann, wer die auf dem Kongress verabschiedeteCharta anerkennt, ist ein Zeichen nach außen wie nach innen und eine unmissverständliche Verankerung.
Es ist im Hier und Jetzt, in dem überwiegend Schreihälse Gehör und Widerhall finden, nicht einfach, mit Sachlichkeit durchzudringen. Es ist verlockend, sich ebenfalls als Schreihals zu gerieren. Aber es ist nicht ratsam. Der Weg zum Ziel führt über Unverdrossenheit und Beharrlichkeit. Und über den Dialog mit denen, die bereit sind, ihn zu führen.
Der 22. Bundeskongress bot zum Jubiläum, wie in der VS-Geschäftsordnung verlangt, literatur- und kulturpolitische Foren. Er bewegte sich dadurch stärker in die Öffentlichkeit als vorherige und schuf die Voraussetzungen, nicht erneut echolos zu verhallen. Dorthin, in die Öffentlichkeit, gehören Schriftsteller und dorthin gehört auch ihr Verband. „Gegenwart und Gesellschaft mitgestalten“ muss weiterhin das Motto sein. Gefragt ist jeder, der fit und willig ist.