Martin Walser

Wir gratulieren Martin Walser zum 90. Geburtstag

Martin Walser Frankfurter Buchmesse 2013 1
 Martin Walser 2013
 Foto: Lesekreis, Wikipedia

Martin Walser, zugleich Mitbegründer des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS), feiert am 24. März seinen 90. Geburtstag. 

Wir gratulieren herzlich einem der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller herausragender Romane und Sprachschöpfer in verschiedenen literarischen Gattungen. Walser hat die Literaturwelt in den vergangenen Jahrzehnten und bis in die Gegenwart nicht nur immer wieder bereichert, sondern sie auch zu heftigen Diskussionen herausgefordert.

»Martin Walser hat das Verhältnis zwischen Schriftstellern und Gewerkschaften nie als konfliktfrei angesehen«, so die VS-Vorsitzende Eva Leipprand, »und doch war er seit seiner großen Rede 1970 in der Stuttgarter Liederhalle ein unverzichtbarer Unterstützer des VS. Dafür sind wir ihm dankbar.«

Als unermüdlicher, scharfer Beobachter zeichnet Walser innere Konflikte, menschliche Schwächen, das Scheitern seiner Romanhelden und Antihelden auf. Er war und blieb zugleich ein gesellschaftspolitisch kritischer literarischer Wegbegleiter unserer bundesrepublikanischen Geschichte. So hat er angesichts der deutschen Teilung stets Schmerz empfunden und sagte in seiner Rede »Über ein Geschichtsgefühl« über ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung: »Wir dürfen uns an die Folgen der Teilung so wenig gewöhnen wie wir uns an die Teilung gewöhnen durften. Wenn Solidarität, dann zuerst mit denen, die immer noch die Folgen dieser Teilung zu tragen haben…«.

Auch international hat sich Martin Walser stets engagiert zu Wort gemeldet, etwa in den kritischen Aufsätzen zum Vietnam-Krieg. Der Leser sollte sehen, »dass der Autor ununterbrochen reagiert hat – auf Auschwitz, deutsche Schuld, deutsche Teilung undsoweiter. Das ist für mich die wirkliche Biographie«.

Er war und ist ein Fürsprecher der Freiheit des Wortes, hat aber missbräuchliche mediale Macht schon zu einer Zeit kritisiert, als noch niemand von »Fake-News« sprach, und vor der Medienmacht eines Berlusconi gewarnt.

Martin Walser wird nicht nur von einer großen, begeisterten Lesergemeinde verehrt, auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen verdanken ihm Unterstützung, er hat sie entdeckt und ihre Talente gefördert. »Ich war von Anfang an Schriftsteller. Ein Schriftsteller, wenn er halbwegs bei Trost ist, kann nichts anderes sein als ein Schriftsteller«, sagt Martin Walser in seiner Rede »Über Rechtfertigung. Eine Versuchung«. In Zeiten, in denen Meinungen und Urteile, wie es scheint, ganz billig und schnell zu erwerben sind, in denen Gedankengebäude und Wörterbäume viel zu oft der puren Rechthaberei weichen müssen, ist Martin Walsers Gesamtwerk ein kostbares Juwel und bleibendes Lesevergnügen.

»Nicht zuletzt lehrt und ermahnt uns der großartige Sprachschöpfer vom Bodensee, „Das Lästige am Intellektuellendasein: man müsste andauernd an der eigenen Verurteilbarkeit mitarbeiten“«, zitiert Imre Török, stellvertretender Vorsitzende des VS aus der Rede Walsers »Über Rechtfertigung, eine Versuchung«.

Wir wünschen Martin Walser alles Gute zum 90. Geburtstag, Gesundheit und noch viele weitere Jahre des Schaffens!

gez. Eva Leipprand 

Vorsitzende des VS 
gez. Imre Török 
Stellvertretender Vorsitzender des VS

Wir gratulieren Martin Walser

Martin Walser

zum 85. Geburtstag.

Wenn Martin Walser den Raum betritt, geht ein Raunen durch die Reihen. Kollegen nennen ihn respektvoll „den Alten“ und wissen genau, dass sie nie an seine Größe heran reichen werden.  Martin Walser wird am 24. März 85 Jahre alt und ist agil und produktiv wie immer. Fit hält er sich mit Tennis und Schwimmen, „meine Medizin ist der Rotwein“, bekannte er einmal in kleinem Kreis. Sein literarisches Werk und seine Karriere sind inzwischen allgemeines Bildungsgut, bereits sein zweites Buch „Ehen in Philippsburg“, erschienen 1957, wurde ein großer Erfolg und gilt heute noch als einer der besten Walser-Romane. Es waren Zeiten, in denen der Dichterfürst mit seinem VW-Käfer über den gefrorenen Bodensee ins heimatliche Nußdorf fuhr und angeblich angesichts des Erfolgs beschlossen hatte, fortan jedes Jahr ein Buch zu schreiben. Er hat das Vorhaben bis heute durchgehalten, Klassiker wie „Ein fliehendes Pferd“ (1978), „Brandung“ (1985) oder „Ein springender Brunnen“ (1998) folgten.
Wenn Martin Walser sich in politische Debatten einmischt, wenn er provoziert, sowohl literarisch als auch bei Reden, wird darüber weithin diskutiert, mehr als über die Äußerungen eines jeden anderen Autors oder gar Politikers. Als Heinrich Böll 1969 das „Ende der Bescheidenheit“ für Literaten forderte, gehörte Walser zu den Gründungsmitgliedern des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS), dem er heute noch angehört. Während er sich früher mit den Gewerkschaftskollegen gegen den Vietnam-Krieg und für die Wiedervereinigung einsetzte und sich an „meinungsbeladene Kongresse“ erinnert – angesichts der Verramschung seiner Bücher nach dem Wechsel zum Rowohlt-Verlag schätzt er nüchtern und illusionslos die „Versachlichung“ des VS, organisierbar seien „nur unsere wirtschaftlichen Interessen“ als Schriftsteller.
Legendär und fast ein wenig grotesk ist seine Gegnerschaft zu Marcel Reich-Ranicki, dem er mit „Tod eines Kritikers“ (2002) ein in Teilen höchst amüsantes parodistisches Denkmal setzte. Als Walser 1998 seine berühmte Paulskirchen-Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hielt und die „Instrumentalisierung des Holocausts“ ablehnte, von Auschwitz als „Moralkeule“ und dem Gedenken als „Pflichtübung“ sprach, wurde er u.a. von Ignaz Bubis heftig kritisiert. Man übersah jedoch, dass er diejenigen mit der „Gnade der späten Geburt“ in die moralische Pflicht nehmen wollte. Im eben publizierten Essayband „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“, weist er klug jede der zahlreichen Anfeindungen von „Kommunist“ bis „Antisemit“ zurück.
Kritiker meinten es nicht immer gut mit Martin Walser, nicht nur Marcel Reich-Ranicki. „Angehäufte Geschmacklosigkeiten mit seiner Greisensexualität“ schrieb eine große Tageszeitung über den Roman „Angstblüte“ (2006), er sei nahe dran gewesen, „eine Art Dieter Bohlen für die gebildeten Stände zu werden“. Erst in den letzten Jahren hat sich das Bild wieder gewandelt als Walser sich nämlich spirituellen, ja religiösen Themen zuwandte. Die FAZ monierte zwar den anmaßenden Titel der Novelle „Mein Jenseits“, lobte aber u.a. die intelligente Aphoristik („Glauben heißt, die Welt so schön zu machen, wie sie nicht ist“). Im erwähnten neuen Buch widerspricht er der unterstellten altersbedingten Religiosität: „Ich lese Religion als Literatur“.
Man kann sich Martin Walser nicht als Tattergreis vorstellen. So lange seine Medizin wirkt und weiterhin jedes Jahr ein neues Buch erscheint, wird er das auch nicht werden.
Matthias Kehle

Martin Walser

Martin Walser

Romane

Geb. am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee. Von 1938 bis 1943 besuchte er die Oberrealschule in Lindau und wurde anschließend als Flakhelfer eingezogen. Nach dem Reichsarbeitsdienst erlebte er das Ende des Zweiten Weltkrieges als Soldat der Wehrmacht. Nach Kriegsende machte er 1946 in Lindau am Bodensee-Gymnasium das Abitur und studierte an den Universitäten Regensburg und Tübingen Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Mit einer Dissertation zu Franz Kafka wurde er 1951 in Tübingen promoviert. Während des Studiums arbeitete Walser als Reporter für den SDR und schrieb erste Hörspiele. Zusammen mit Helmut Jedele bildete er den Kern der „Genietruppe“ des Hörfunks. 1950 heiratete er Katharina „Käthe“ Neuner-Jehle.

Seit 1953 wurde Walser regelmäßig zu den Tagungen der Gruppe 47 eingeladen, die ihn 1955 für die ErzählungTemplones Ende auszeichnete. Sein erster Roman Ehen in Philippsburg erschien 1957 und wurde ein großer Erfolg. Walser lebte von da an mit seiner Familie als freier Schriftsteller erst in Friedrichshafen und dann in Nußdorf am Bodensee.

In den sechziger Jahren setzte sich Walser wie viele andere linke Intellektuelle für die Wahl vonWilly Brandt zum Bundeskanzler ein. 1964 war er Zuhörer beim Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Er engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, reiste nach Moskau und galt (auch seinem Verleger Siegfried Unseld) in den sechziger und siebziger Jahren als Sympathisant der DKP, der er aber nie als Mitglied angehörte. 1988 hielt Walser im Rahmen der Reihe Reden über das eigene Land eine Rede, in der er deutlich machte, dass er die deutsche Teilung als schmerzende Lücke empfindet, mit der er sich nicht abfinden will. Diesen Stoff machte er auch zum Thema seiner Erzählung Dorle und Wolf. Auch wenn Walser ausdrücklich betonte, dass sich seine Haltung über die Zeit nicht verändert habe, sprechen einige Beobachter von einem Sinneswandel des Autors.

Walser ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, der Sächsischen Akademie der Künste, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt) und Mitglied des deutschen P.E.N.

VS Baden-Württemberg